Wie ist mit Widersprüchen zwischen Kurztext- und Langtext-LV umzugehen?
In Fällen einer Divergenz zwischen Kurztext- und Langtext-LV bei einem abgegebenen Angebot ist vom Vorrang des Langtext-Leistungsverzeichnisses auszugehen. In vertragsrechtlicher Hinsicht bleibt es bei der Verbindlichkeit des Langtext-Leistungsverzeichnisses; sein Inhalt wird Angebotsinhalt.
Dies hat das OLG Schleswig (Az. 1 Verg 12/10 vom 08.12.2010) klarstellen müssen. Vorausgegangen war ein Vergabenachprüfungsverfahren, bei dem ein Bieter nur deshalb ausgeschlossen worden war, weil er in dem von ihm erstellten Kurztext-LV eine in der Angebotsphase vom ausschreibenden öffentlichen Auftraggeber mitgeteilte Mengenänderung bei einer LV-Position im Kurztext-LV nicht berücksichtigt hatte. Diesen Ausschluss hat das OLG für unwirksam erklärt.
In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass es nach VHB im
Formblatt 213 (Angebotsschreiben) unter Ziffer 8 – erster
Spiegelstrich – ausdrücklich heißt:
"Ich/wir erkläre(n), dass ich/wir den Wortlaut der vom
Auftraggeber verfassten Langfassung des Leistungsverzeichnisses als
alleinverbindlich anerkenne(n)."
In gleichem Sinne heißt es in Formblatt 212 (Teilnahmebedingungen
für die Vergabe von Bauleistungen – Einheitliche Fassung):
"3.3 Eine selbstgefertigte Abschrift oder Kurzfassung des
Leistungsverzeichnisses ist zulässig. Die von der Vergabestelle
vorgegebene Langfassung des Leistungsverzeichnisses ist allein
verbindlich."
Der Bundesgerichtshof hatte sich in einem etwas anders gelagerten Fall (Az. BGH X ZR 155/10 vom 15.01.2013) ebenfalls mit einem Kurztext-LV zu befassen. Dort hatte der Auftraggeber selbst ein Kurztext-LV mitgeliefert. Im Langtext-LV waren Produktangaben abgefragt worden, was jedoch im Kurztext-LV nicht der Fall war. Der öffentliche Auftraggeber hatte einen Bieter ausgeschlossen, der lediglich das ausgefüllte Kurztext-LV, jedoch keine Produktangaben mitgeliefert hatte.
Hierzu sagt der BGH im amtlichen Leitsatz des Urteils:
"Legt der öffentliche Auftraggeber den Vergabeunterlagen ein
Kurztextleistungsverzeichnis bei, darf der Bieter als Adressat dies
dahin verstehen, bei dessen Verwendung zur Beschreibung der angebotenen
Leistung nur die darin geforderten Angaben machen zu müssen. Der
öffentliche Auftraggeber kann in diesem Fall den Ausschluss des
Angebots nicht darauf stützen, er habe sich an anderer Stelle in
den Vergabeunterlagen ausbedungen, dass bei Verwendung selbstgefertigter
Abschriften oder Kurzfassungen alle im Langtextleistungsverzeichnis
geforderten Textergänzungen in das Kurztextverzeichnis
übertragen werden müssen."
Umgekehrt bedeutet dies aber auch, dass der Bieter bei selbstgefertigtem Kurztext-LV darauf achten muss, sämtliche im Langtext-LV geforderten Angaben dort bzw. an anderer geforderter Stelle einzutragen.